Verfasst von: marenkrings | Oktober 11, 2010

Einmal mit den Schafen ziehen

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Ich bin auf dem Weg ins Ötztal, nicht alleine, mein Assistent Hans befindet sich auf dem Beifahrersitz. Er sucht akribisch die Wanderkarte nach dem Flecken ab, an dem wir in zwei Tagen mit Schafen das Joch zwischen Tirol und Südtirol überqueren werden. Immer wieder die gleiche Frage: “wie hoast des Joch? Antwort: “Bempeljoch oder so ähnlich!“. Meine Telefonate mit dem südtiroler Schäfer Alfons Gufler, hatten sich schwierig gestaltet. Meine Ohren, nicht trainiert auf den neuen Klang des Südtiroler Dialekts, hatten mich um einige Informationen betrogen. Was ich verstanden hatte war, dass Alfons am Montag von seiner 2.200 Meter hoch gelegenen Gurgler Alm mit 1200 Schafen nach Obergurgl hinabfahren würde und am Folgetag weiter, mit Polizeilichem Schutz auf dem Straßenweg, über das Joch nach Südtirol. Problem Nummer eins lösen wir schnell, denn es gibt nur eine Strasse von Obergurgl aufs Joch und diese führt über das Timmelsjoch. Problem Nummer zwei lässt in Lösung noch auf sich warten, denn, wenn wir die Schafherde für die angekündigten 6 Stunden begleiten werden, wie kommen wir wieder von Südtirol zurück zu unserem Auto im Ötztal? Fragen die wir nicht beantworten können und deshalb für den Moment hinten anstellen.

Obergurgl begrüßt uns mit Sonnenschein, ein rares Geschenk in diesem Sommer. Die Sonne wird meine Mission begünstigen, denn wir werden nun für drei Tage, mit kompletter Fotoausrüstung, in den Bergen unterwegs sein. Das alles um eine tiefgründige Dokumentation über die 6000 Jahre alte Tradition des Schafabtriebs nach Südtirol zu produzieren. Bereits 1415 wurden die ersten Weiderechtsverträge zwischen den Ötztaler Bauern und den Südtirolern abgeschlossen. Die Transhumanz, der so genannte Übertrieb der Tiere über die Berggipfel, findet jedes Jahr Anfang Juni und mitte September statt. Oft nennen die Schäfer diese Heimreise auch den Hungermarsch. Fast eine Woche kann  das Zusammentreiben der Tiere auf dem Almgelände dauern. Die Weideflächen sind unübersichtlich groß (teilweise über 2000 ha) und ziehen sich bis zu den Gletscherzungen hin. Die Schafe verteilen sich im ganzen Gebiet in Gruppen von 5 – 30 Tieren, ob des geringen menschlichen Bezugs der Sommermonate, sind sie annähernd scheu und somit schwierig zu treiben. Zur wichtigsten Ausstattung eines Schäfers in diesen Höhen gehört das „Spektiv“ (Fernglas), warme und wasserfeste Kleidung, sowie ein ordentlicher Hirtenstock, versehen mit einem Eisenspitz. Die Geländegängigkeit eines Schafes könnte man laut UIAA- Skala (Schwierigkeitsgrad beim Freiklettern) mit  einem III- bezeichnen, nehmen sie oft schier unpässliche Wege durch Felsen, mit Abgründen von einigen Metern, in freiem Sprung. Tier und Treiber kostet dies viel Kraft. Während die Treiber meist mit einer stärkenden „Jause“ (Brotzeit) im Rucksack ausgestattet sind, so müssen die Schafe warten bis sie nach den Strapazen im heimischen Stall landen. Wir selber müssen zuerst einen 2 stündigen Fußmarsch zurücklegen um an die Gurgler- Alm zu kommen. Wir werden mit einer einmaligen Herzlichkeit empfangen und sofort zu einem Schnaps in die gemütliche Alm von Alfons eingeladen. Die Stube ist bescheiden, aber liebevoll eingerichtet und das Bett so ordentlich gerichtet als sei es ein Vorzeigeexemplar. Langsam gewöhnen sich meine Ohren an den Dialekt und ich fange an, den ungemein witzigen Humor von Alfons kennen zu lernen. 72 Jahre ist er jung und fit wie ein Turnschuh. Mit seinen lustigen Geschichten und seiner positiven Ausstrahlung hat er ein Team von 9 Treibern um sich geschart, welche ihm jährlich bei dem Zusammentrieben vor dem Übertrieb helfen. Keiner dieser Männer sieht es als Verpflichtung an, Alfons zu helfen. Alle tun es aus Stolz und Idealismus, sowie starker Sympathie für diesen Hirten, der so charismatisch lacht, dass man selbst bei völligster Planlosigkeit des Gesagten mitlachen muss. Wir saugen diesen neuen Flair in uns ein und laufen Stunden später, um viele Bilder reicher, zur Langtalereckhütte weiter. Das Team der DAV Hütte, in der wir die Nacht verbringen werden, weiß bereits bescheid wer wir sind, wird doch am Berg jede fremde Bewegung beiläufig, als Sicherheitsmaßnahme beobachtet. Die Landschaft in ihrer ungemeinen Schroffheit inspiriert mich sehr. Das rot des verblühenden Heidelbeermoos leuchtet inmitten des herbstlich, gelbbraun gefärbten Grases. Die Sonne geht noch nicht unter, aber durch die hohen Berge um uns herum hat uns bereits der Schatten erreicht und gibt einen winterlichen Hauch an Kälte ab. Die Wärme der Hütte und ein liebevoll zubereitetes Abendessen rufen uns ins Innere. Tagwache ist früh, auch uns hat die Aufbruchsstimmung der Schafe erfasst. Sie spüren, dass die weite Heimreise naht und verkünden dies mit ihrem aufgeregten Blöken. Auf der Fotosafari in Richtung des Langtaler Ferners (Gletscher) gabeln wir noch zwei verlassen umherirrende Schafe auf und nehmen diese zur Gurgler Alm mit. Besser gesagt sie nehmen uns mit, in unserer stark, durch das Gepäck, behinderten Geländegängigkeit müssen die beiden laufenden Wollknäuel immer wieder auf uns warten. Über Nacht hat ein Schaf gelammt, das kleine schwarze Tierchen versucht im dichten Gedränge seine Mutter nicht zu verlieren. Alfons holt Mutter und Kind, zu ihrer Sicherheit aus dem Pferch heraus und bringt sie zu den anderen Lämmern. Gegen Mittag trifft eine letzte Partie, besonders widerspenstiger Schafe, gefolgt von den sehr erschöpften Treibern, bei der Alm ein. Binnen Minuten ist alles gerichtet, Almtür verriegelt, Rucksäcke geschultert und Körperkräfte wiederbelebt, dann öffnet sich das Tor des Pferches und heraus strömen 1200 Schafe wie Lava aus einem ausbrechenden Vulkan. Die Reise nach Obergrugl geht um ein Vielfaches schneller als ich das erwartet hatte. Im Schafgalopp und Treibersprint zieht sich dieses quirlige Gebilde gen Tal, unaufhaltsam und gezeichnet von Ausreißergruppen, welche immer wieder zurück zur Partie getrieben werden. Schweißgebadet und mit rasendem Puls kommen wir den letzten Steilhang heruntergeflogen, welcher in den großen Pferchen oberhalb des Universitätszentrums in Obergurgl endet. Wir haben knappe 25 Minuten für diesen Abtrieb gebraucht, ein echt sportliches Unterfangen. Für die Schafe beginnt erst jetzt der echte Stress, denn sie werden von ihren Besitzern gefangen und aus dem Pferch heraus auf die Hänger geladen. Per Ohrmarke und Erkennungsstift im Magen (dieser kann mit einem speziellen Gerät gelesen werden und wird dem Tier mittels des Futters eingefügt) werden nun die Tiere ihren Besitzern zugeordnet. Hilfreich dabei sind die Überbleibsel der Farbmarkierungen, welche man den Schafen zu Anfang des Sommers aufgemalt hat. Die Sonne ist bereits verschwunden, als sich die Treiber erschöpft und glücklich im Dorfzentrum zu einem gemeinsamen Essen treffen. In den glänzenden Augen vermischt sich Stolz, Kampfgeist und die Vorfreude, gepaart mit der Spannung über die große Wanderung übers Timmelsjoch am Folgetag. Wir wissen die Ehre zu schätzen, das man uns zu diesem Essen eingeladen hat, teilen wir doch auch den Spaß, den die Treiber sich mit uns machen. So wird feierlich verkündet, dass wir am heutigen Tag unsere Aufnahme in das Treiberteam geschafft haben, es dauert nicht lange, bis mir unter Augenzwinkern mitgeteilt wird, dass man bei mir eine Ausnahme hinsichtlich des weiblichen Geschlechts hat machen müssen.

Einen traumlosen Schlaf, Schafe werden wir morgen noch genug zählen! Wieder eine zeitige Tagwache, ich möchte zu den Pferchen, bevor die Treiber eintreffen. Im dämmernden Licht sehe ich einen dichten Wollteppich, einzelne Tiere sind nicht auszumachen. Als ich jedoch nur noch einen Meter vom Pferch entfernt bin geht ein plötzlicher Ruck durch die Schafherde und alle stehen und  schauen mich mit großen, ängstlichen Augen an. Die Kälte kann den Tieren nichts anhaben, sind sie doch bestens gegen Kälte und Hitze isoliert. Etwas schlaftrunken, nach einer viel zu kurzen Nacht, treffen die Treiber ein. Ein jeder trägt auf seinem Hut ein stolzes Edelweiß, unter den Jacken haben sie blaue Schürzen an, ein Brauch der Südtiroler Schafhirten. Die Reise beginnt, 20 Kilometer stehen uns bevor, dabei werden wir das 2509 Meter hohe Timmelsjoch überqueren. Bis dorthin treiben wir die Schafe auf der Asphaltstrasse, voraus ein Polizeiwagen, das Ende des Zuges krönt ein Feuerwehrfahrzeug. Unter den Begleitern des Trupps befindet sich der bekannte Ötztaler Volkskundler Hans Haid, welcher bereits mehrere Bücher zum Thema Schaf geschrieben hat. Interessanterweise hat gerade er Thüringen als Quelle zur historischen Information über das Schaf entdeckt. Unser interessantes Gespräch wird unterbrochen, denn trotz aller Maßnahmen passiert es just am Timmelsjoch, das die Schafe plötzlich außer Rand und Band geraten und nach allen Seiten ausschwärmen, der Eindruck eines Ameisenhaufens vermittelt sich mir und ich kann mein Lachen über die Besucher des neuen Timmelsjoch Museums nicht unterdrücken, welche sich inmitten dieses explosiven Wollgewusels, nicht unerstaunt wieder finden. Unbeeindruckt leitet Alfons seine Ziegen der Partie voraus in Richtung des alten Wanderweges, welcher sich zuerst, steil abfallen, durch das lange Tal zum Zielpunkt schlängelt. Am Ende des Tales erwartet uns noch eine weitere Herausforderung, eine kleine Brücke über die alle Schafe geschleust werden müssen. Dann ist die lange Reise beendet, beschleunigt durch das Traumwetter haben wir eine Bestzeit von 5 Stunden gebraucht, mit weichen Knien fallen wir alle dankbar auf die Holzbänke und lassen den Trubel des freudigen Auflaufs von Menschen auf uns wirken. Wie in Ekstase vermischen sich die Düfte der leckeren Speisen, welche auf offenen Gasflammen im Heustadel gekocht werden, mit der Musik eines Ziehharmonika Spielers und dem Blöcken der müden Schafe, welche sich nun ein weiteres Mal dem Stress der Verteilung auf Hänger ausgeliefert sehen.

Ach ja, da war ja noch Problem Nummer zwei, die Rückfahrt ins Ötztal. Wie in jedem schönen Märchen auch hier ein Happy End, wir dürfen den PR Transport retour nehmen, denn wie man sich vorstellen kann hat diese Tradition viel Aufmerksamkeit von Radio, TV und anderen Medien auf sich gezogen. Das Blöken der Schafe begleitet mich noch für Tage und jedes Schaf am Wegrand lässt nun mein Herz mit einer wunderschönen Erinnerung höher schlagen.


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